„Halt die Deadline ein, so ist’s fein | Hol die Ellenbogen raus, burn dich aus | 24/7, Acht Bis Acht | Was geht ab, machste schlapp, what the fuck?!“ (Deichkind, Bück dich hoch, 2012)
Die Ursache für Burnout und Depression (in) der „Leistungsgesellschaft“ ist das Zurückdrängen eines gemeinwohlorientierten Sinns hinter all den Deadlines und Monatskennziffern, ein konkurrenzgetriebenes ‚Rennen ohne Ankommen‘ und gefühlte Ausgeliefertheit an unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen. Wir leben in einer verkehrten Welt, in einer Welt der Zweck-Mittel-Verkehrung. Der Zweck unseres Studiums soll nicht etwa im Verstehen der Welt zum Verbessern der Welt bestehen, sondern im „Erwerben“ von Leistungspunkten für unser „Leistungskonto“ nach vorgegebenem Studienplan, um damit später auf dem Arbeitsmarkt etwas anfangen zu können. Der Zweck der Forschung soll anstelle von Gemeinwohlorientierung das „Einwerben“ von Drittmitteln oder das Sammeln von Punkten in der sog. Leistungsorientierten Mittelvergabe sein (Mittel, die erst im Wettbewerb unter Professor*Innen vergeben werden, wenn diese bestimmte Anforderungen erfüllen). Im Jahr 2012 betrug die Drittmittelquote 28 % des gesamten Hochschulbudgets. Zum Vergleich: 2003 waren es 19 %.
Die Folge der heutigen Sinnentleerung und Trennung von Forschung und Lehre ist eine Kultur der Entfremdung, die schon die 68er-Bewegung ablehnte: „Zumal wenn Forschen und Lernen auseinandergerissen sind und die Studenten am Forschungsprozeß nicht beteiligt werden, erleben sie ihre Arbeit nur als passiv-konsumtiv, als bloßes Erlernen herausgerissener Momente des Ganzen, nicht aber als eigene Entäußerung, als ‚Aus-sich-heraus‘ (Bloch), als aktives Eingreifen in den Wissenschaftsprozeß selbst. Auf der Universität sind persönliche Identifikationen und Beziehungen ersetzt worden durch verdinglichte.“ (Bacia/Geulen, „Wider die Untertanenfabrik“, 1967) Im Zuge der 68er-Bewegung wurde von dieser Kritik ausgehend tendenziell eine Vorstellung von Bildung und Wissenschaft als Grundrecht realisiert, die den Auftrag hatte gesellschaftliche Selbstaufklärung, sowie sozialen, kulturellen und ökologischen Fortschritt anzutreiben.
Der neoliberale Umbau der Hochschulen wurde dementgegen forciert, damit Forschung nicht gesellschaftliche Emanzipation, sondern verwertbaren und affirmativen Output bedeutet. Damit Humankapital ausgebildet wird anstatt dass mündige Persönlichkeiten sich bilden. Die dazu gewählten Mittel: Unterfinanzierung, Managementstrukturen und Wettbewerbsverfahren. Doch der Widerstand dagegen ist weit verbreitet und wächst.
Besonders in Zeiten der aktuellen Krise des Neoliberalismus und den rechts lauernden Hetzer*Innen ist eine kritische Wissenschaft eine wichtige Stimme der Hoffnung: sie nimmt den Verhältnissen ihren Schein der Natürlichkeit, zeigt Veränderungspotenziale auf und mischt sich in der gesellschaftlichen Gegnerschaft parteiisch ein für „eine Welt des Friedens und der Freiheit“ (Schwur von Buchenwald): „Wissenschaft ist also ein prinzipielles Gegen-den-Strom-Schwimmen, dabei vor allem auch gegen den Strom der eigenen Vorurteile, und in der bürgerlichen Gesellschaft zudem gegen die eigene Tendenz zum Sich-Korrumpieren-Lassen und Klein-Beigeben gegenüber den herrschenden Kräften, denen die Erkenntnisse gegen den Strich gehen, die ihren Herrschaftsanspruch gefährden könnten.“ (Klaus Holzkamp, Forum Kritische Psychologie 12, 1983)
Um mit dieser Orientierung die gesamte Hochschule zu durchwirken und im Studium auch die absurde Trennung von Forschung und Lehre aufzuheben, haben unsere VorkämpferInnen schon für ein gesellschaftlich eingreifendes, forschendes, exemplarisches und interdisziplinäres Lernen gekämpft: das Projektstudium. Das Projektstudium dreht die Zweck-Mittel-Verkehrung um, indem es aktuelle gesellschaftliche Fragen (heute bspw. G20-Gipfel, Situation Geflüchteter oder die Organisation des Gesundheitssystems) zum Ausgangspunkt einer forschend-politischen Arbeit macht. So ist das Ziel nicht eine Prüfungsleistung, sondern kann bspw. die Verhinderung des G20-Gipfels, die Rekommunalisierung der Krankenhäuser oder der Kampf für die Überwindung der Fluchtursachen (Krieg!) und die Realisierung des Grundrechts auf Asyl sein, bzw. der aufklärerische Beitrag zu diesen Bewegungen.
Trauen wir uns also, unserer Ahnung nachzugehen, dass Studium etwas anderes sein muss als die Erfüllung von Anforderungen in der Bachelor-Master-Routine. Deshalb sind wir und viele andere in der Studienreform zur Bildung mündiger Persönlichkeiten aktiv. Trauen wir uns also, tagtäglich aufs Neue aus der Anpassung auszubrechen und die gesellschaftlichen Herausforderungen anzugehen. Statt Veränderung nur zu fordern: Lasst uns selbst die solidarische, eingreifende Alternative sein und unser Ändern leben.
Flugblatt als PDF hier