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Die Sonne patentieren? Kritische Wissenschaft in Präsenz statt Lockdown

„Punktuelle Veränderungen dieses Systems, wie lebensrettende Preissenkungen für HIV-Medikamente, kamen erst durch jahrelangen internationalen öffentlichen Protest zustande, mussten also von Zivilgesellschaften und von der Epidemie besonders betroffenen Staaten erzwungen werden. Das Patentsystem schafft zudem mit der Patentierung von Forschungsmethoden und -instrumenten selbst Barrieren für den Forschungsfortschritt. Die Überwindung dieser ungerechten Strukturen ist ein Vorgriff auf eine Zukunft, in der die Daseinsvorsorge vom Markt- und Profitprinzip befreit ist und die das Menschenrecht auf Gesundheit als Gemeingut in das Zentrum des gesundheitspolitischen Handelns stellt.“
(aus dem Aufruf „Patente töten. Für die Aufhebung des Patentschutzes auf alle unentbehrlichen Medikamente“, initiiert von BUKO Pharma-Kampagne und medico international [Deutschland], Outras Palavras [Brasilien], People’s Health Movement und Society for International Development; kompletter Aufruf, Unterstützer*innen und Unterzeichnungsmöglichkeit unter: www.patents-kill.org)

Jedes Jahr sterben Millionen Menschen weltweit an Krankheiten wie Tuberkulose, Diabetes und Malaria. Und das, obwohl Medikamente zur Heilung bzw. Behandlung existieren. Die UN-Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass aufgrund hoher Preise und anderer struktureller Hindernisse ein Drittel aller Patient*innen weltweit keinen Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten hat. Eine mörderische Bankrotterklärung der aktuellen Gesellschaftsordnung: der Mangel im Überfluss.

Dass wir Menschen dementgegen nur in Kooperation unser Wesen entfalten und produktiv sind und die Welt so eingerichtet werden kann, ist im antifaschistischen Impetus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948 verdichtet: „die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen [bildet] die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt“. Darauf wurden die Vereinten Nationen und die Weltgesundheitsorganisation errichtet und im UN-Sozialpakt 1966 (inmitten des Kalten Krieges) „das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit“ (Artikel 12) als globaler Verwirklichungsauftrag festgehalten.

In bisher völlig neuer Qualität globaler (Forschungs)Kooperation der Vielen und zu übergroßen Teilen öffentlich und von Stiftungen finanziert ist die Entwicklung vieler vielversprechender Impfstoffe gegen CoVid19 gelungen. Trotz profitgetriebener Pharma-Konzerne und Standortkonkurrenz. Die Herrschenden der Industrie-Staaten (mit 14% der Weltbevölkerung) haben sich bereits 50% der zu produzierenden CoVid19-Impfdosen gesichert. Das Profit- und Konkurrenzsystem soll hier aggressiv verteidigt werden – entgegen der offenliegenden Notwendigkeit und Möglichkeit von und wachsenden Engagements für globale Solidarität und Gesundheit sowie (Wirtschafts-)Demokratie. Doch diese Ordnung ist auf Sand gebaut. Die solidarische Alternative ist dagegen lebendig im Engagement der 250 Mio. Streikenden in Indien für eine soziale Grundsicherung und das Ende des Neoliberalismus, in der Überwindung des imperialistischen Putsches durch die soziale Basisbewegung in Bolivien, wenn das sozialistische Kuba Gesundheitsarbeiter*innen in alle Welt schickt und die Regierungen Südafrikas und Indiens wegen des Drucks einer selbstbewussten Gesundheitsbewegung bei der Welthandelsorganisation die Außerkraftsetzung des Patentrechts für CoVid19-Impfstoffe beantragen. Die Internationale erkämpft das Menschenrecht!

Auch als Wissenschaft(ler*innen) stehen wir vor der Entscheidung, auf welcher Seite des gesellschaftlichen Konflikts wir Partei ergreifen. Gemeinwohl- statt Profitorientierung ist machbar. So forderte bspw. der Erfinder des Impfstoffes gegen die grassierende Kinderlähmung, Jonas Salk, die Öffentlichkeit am 12. April 1955 in einem Interview heraus mit seiner Antwort auf die Frage, wem das Patent gehöre: „Well, the people, I would say. There is no patent. Could you patent the sun?“ („Naja, ich würde sagen, der Bevölkerung. Es gibt kein Patent. Könnte man die Sonne patentieren?“)

In diesem Sinne haben wir uns als Mitglieder der Uni Hamburg der Verwirklichung der UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs) verschrieben: Von Aktivitäten in den beiden Friedenforschungsinstituten, beim Flüchtlingsprogramm #uhhhilft, Themensemestern oder der Kampagne gegen die Schuldenbremse bis hin zu SDG-Patenschaften und -Forschungslandkarte. Weltverändern, das machen wir selbst. Sei es in einer hitzigen Seminardiskussion über die gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaft (statt dem Schielen auf CreditPoints), sei es durch einen Anruf bei unserer Kommilitonin (gegen die Vereinzelung des Lockdowns), sei es in der Erforschung der gesundheitsfördernden Rekommunalisierung der Krankenhäuser (statt Drittmittelprostitution) oder sei es die solidarische Organisierung in Fachschaftsrat, Hochschulgruppe oder Friedensinitiative (gegen die Lüge der Bedeutungslosigkeit).

Die entsprechende Beteiligung an den Wahlen zu Studierendenparlament (Urnenwahl vom 11. Bis 15. Januar 2021 im Audimax-Foyer) und Akademischem Senat (Briefwahl bis zum 15. Februar 2021) ist dafür ein wichtiger Schritt. Gemeinsam machen wir den Unterschied.

Wissenschaft ist systemänderungsrelevant. Wenn wir uns als Wissenschaftler*innen auch politisch für die gesellschaftliche Verwirklichung verallgemeinerungswürdiger Erkenntnisse anlegen. Mensch sind wir nur in menschlicher Gemeinschaft, was durchaus wörtlich zu verstehen ist. Deswegen ist der Lockdown der Hochschulen sofort zu Gunsten geschützter, sozialer Präsenz zu beenden.

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Patente töten. Für die Aufhebung des Patentschutzes auf alle unentbehrlichen Medikamente
„(…) Wir, die Unterzeichnenden, fordern daher von unseren Regierungen eine an den Gesundheitsbedürfnissen der Menschen ausgerichtete Politik, die Arzneimittel als globale öffentliche Güter behandelt und die Macht von Pharmaunternehmen im öffentlichen Interesse begrenzt. Hierfür sind die Entkoppelung von Forschungskosten und Preis bei Medikamenten unabdingbar, um neue Anreizmechanismen zu setzen, die Innovationen fördern und zugänglich machen.

Die Vorschläge dafür liegen seit Jahren auf dem Tisch. Den Rahmen für diesen grundlegenden Politikwechsel böte die sofortige Einführung eines durch die Weltgesundheitsorganisation zu verhandelnden internationalen Vertrages, in dem sich Regierungen zur verpflichtenden, koordinierten Forschung und Entwicklung für neue unentbehrliche Medikamente, Diagnostika und Impfstoffe bekennen.“

Unterzeichnen: www.patents-kill.org

Das Flugblatt als PDF findet ihr hier zum Download