Allgemein

Raus aus der Entfremdung: Sozialrevolutionäre Realpolitik

sozialrevolutionaere-realpolitik_neuDie Erschöpfung der Subjekte kommt auch daher, weil sie sich durch einen für sie oft undurchsichtigen Alltag nur noch durchwursteln und keine Utopie mehr haben: keine für sich, aber sie sehen auch keine für diese Gesellschaft oder eine, die diese Gesellschaft hat. Im Alltag zu überleben, ist das oberste Prinzip geworden. Nicht nur für den Einzelnen gilt das, sondern auch für ganze Systeme wie die Wirtschaft und die Politik.“ (Heiner Keupp, emeritierter Professor für Sozialpsychologie der LMU München, im Interview mit der Monatszeitschrift OXI; 9.12.16; ganzes Interview hier)

Der Kapitalismus befindet sich aktuell in einem sozialökonomischen, politischen und ökologischen Burnout; und mit ihm wir als Subjekte. Also müssen wir als Hochschulmitglieder mit Hochdruck an den brennenden Fragen unserer Zeit arbeiten: Wie organisieren wir eine Ökonomie, welche menschliche Bedürfnisse im Zentrum hat und nicht Profit? Wie gestalten wir diese ökologisch und psychisch nachhaltig? Wie konvertieren wir Rüstungsproduktion? Wie verhindern wir G20 in Hamburg und überall?

Doch durch unsere soziale Situation als Studierende sollen uns andere Fragen aufgedrängt werden. Laut jüngster Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks hat in Hamburg ein Drittel aller Studierenden weniger als 800 € pro Monat zur Verfügung und gilt damit offiziell als arm. Folglich geben 40 % an, in Unsicherheit über die finanzielle Sicherung ihres Studiums zu sein. Wir sollen uns durch den prekärer werdenden Alltag „durchwursteln“ und nur im Kopf haben, wie die Miete bezahlt werden kann, ob und wann das BAföG kommt, wie wir die Lohnarbeit und das Studium unter einen Hut bekommen etc.

Dies ist politisch bewusst hergestellt, was man am Beispiel des BAföG sehr gut sehen kann: Eingeführt wurde es als nicht-rückzahlungspflichtiger Zuschuss 1971 vor dem Hintergrund des Drucks der 68er-Bewegung. Ein Jahr später wurden 44,6 % aller Studierenden BAföG-gefördert. Nach Jahrzehnten der Auseinandersetzungen um die Studienfinanzierung werden laut jüngster Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks nur noch 18,7% aller Studierenden gefördert. Die Förderhöhe ist nach jahrelangen Nullrunden mittlerweile derart lächerlich niedrig, dass das BAföG nichts mehr mit einer einklagbaren Ausbildungsförderung zu tun hat, welche die realen Lebenshaltungskosten deckt. Dadurch soll eine Haltung erzeugt werden, unser Studium als Investition ins eigene Humankapital zu sehen und uns den Erwartungen von Konzernen, häufig auch vermittelt durch Eltern, zu unterwerfen. Auch die qualitativen Anforderungen – vom „Studieren“ in Regelstudienzeit und der Nachweispflicht dessen nach vier Semestern bis zur eigenmächtigen Festsetzung der „Studieneignung“ durch das BAföG-Amt – zielen auf eine repressiv-erzieherische Funktion ab: Bloß nicht aufmüpfig sein, bummeln oder hinterfragen!

Dementgegen muss Studieren als gesellschaftlich notwendige Tätigkeit für die Bildung mündiger Persönlichkeiten im Rahmen der wissenschaftlich-politischen Lösung gesellschaftlicher Probleme verwirklicht werden. Folglich müssen wir die „Emanzipation des Studenten zum freien intellektuellen Arbeiter und die volle Herstellung der akademischen Freiheit des Studiums“ (SDS-Hochschuldenkschrift 1965) auch sozial unterlegen. Deswegen kämpfen wir für ein Studienhonorar, das allen Menschen elternunabhängig eine selbst-bewusste Teilhabe am Wissenschaftsprozess ermöglicht. Wenn wir aufhören uns gegenseitig ein Klarkommen mit den nicht zu schaffenden Leistungsanforderungen vorzuspielen und uns zur Verbesserung der Lebensbedingungen für Alle zusammenschließen, befreit uns das unmittelbar von der Entfremdung: Statt uns ziellos durch die Routine des Alltags (in Richtung Erschöpfung) treiben zu lassen, können wir unserem Leben – und damit der gesellschaftlichen Entwicklung – eine sinnhafte Richtung geben. Sozialrevolutionäre Realpolitik bedeutet in diesem Sinne, mit der Perspektive einer umwälzenden Veränderung der Gesellschaft, Reformen durchzusetzen, die unsere Kampfbedingungen für den Sozialismus verbessern: Ausbau des Studierendenwerks, vergesellschafteten Wohnraum und Realisierung der Grundrechte durch öffentliche Daseinsvorsorge mit bedarfsgemäßer Finanzierung.

Dafür müssen wir unser Ändern leben: „In der revolutionären Tätigkeit fällt das Sich-Verändern mit dem Verändern der Umstände zusammen.“ (Karl Marx/Friedrich Engels, Die deutsche Ideologie)

Flugblatt als PDF hier