Kritische Wissenschaft

Der Formalismus der Mainstreamwissenschaften beschränkt sich absichtlich darauf, die Realität einfach nur zu beschreiben und überlässt das Eingreifen dann „der Politik“. Das vermeintlich neutrale Messen, Prüfen und Systematisieren von Daten trägt affirmativ dazu bei, dass die derzeitigen Verhältnisse weiter existieren können. In diesem Wissenschaftsverständnis wird nicht davon ausgegangen, dass die Gesellschaft ein sich selbst veränderndes Forschungsobjekt ist.

Wissenschaft ist aber immer Teil von Gesellschaft, weshalb kritische Wissenschaft dies auch explizit berücksichtigen muss. Wissenschaft ist notwendigerweise Werturteilen unterworfen und wird erst durch die Reflexion ihrer Ziele, Methoden, sozio-ökonomischen Bedingungen und der eigenen Geschichte zu wirklicher Wissenschaft.

 Es ist ihre gesellschaftliche Aufgabe, als sich ausdrücklich politisch verstehende Wissenschaft, den Sinn des Bestehenden anzuzweifeln, Alternativen zu den derzeitigen Verhältnissen zu entwickeln und aktiv in die Prozesse der Gesellschaft einzugreifen. Sie muss aufzeigen, dass die derzeitigen Verhältnisse nicht natürlich sind, sondern durch und durch historisch, also von Menschen gemacht. Darüber hinaus muss herausgearbeitet werden, dass alles auch ganz anders sein könnte und gemessen an dem, was unter den gegebenen Bedingungen möglich ist, sein müsste.

 So kann eine kritische VWL z.B. aufzeigen, dass die derzeitige systemimmanente Krisenanalyse Teil des Problems ist und die beschriebene affirmative Neutralität der Mainstream-VWL mit in die Krise geführt hat. Kritische Medizin kann die gesellschaftlichen Ursachen von Krankheiten erforschen und bekämpfen statt immer ausgefeiltere Methoden zur bloßen Symptombekämpfung zu entwickeln, um die Patient*Innen funktionsfähig zu halten. Und Kritische Geschichtswissenschaft kann beispielsweise explizit auf verschleierte Teile der deutschen Geschichtsschreibung hinweisen. Sie kann den Finger in die Wunde legen und so zu einer Aufarbeitung beitragen, die Auswirkungen hat auf das Hier und Jetzt. Im Fall der Nazikontinuitäten des Verfassungsschutzes und der damit einhergehenden strukturellen Blindheit auf dem rechten Auge hätte dies Leben retten können und ist deshalb jetzt umso dringender.

All diese komplexen Problemstellungen sind nur in inter- oder transdisziplinären Forschungssettings angemessen zu beantworten und schreien geradezu nach neuen Perspektiven und Lösungen, die auch nur durch einen inhärenten Zweifel an bestehenden Antworten entstehen können.

Diese oben beschriebenen Ziele können die Wissenschaften in ihrer derzeitigen Verhaftung in gegenseitiger Konkurrenz – um Gelder, um Ansehen und Größe oder gar Macht – leider nicht ausreichend leisten. Deswegen machen wir uns immer und überall für den beschriebenen Wissenschaftsbegriff stark. Zudem gilt es, progressive Bündnispartner*Innen innerhalb der Uni, die marginalisiert weiterhin einen kritischen Wissenschaftsansatz verfolgen, zu unterstützen. Mit der Schaffung eines Referats für Kritische Wissenschaft im AStA haben wir uns unter anderem dafür eingesetzt und stellen für das Referat einen Referenten. Durch die Unterstützung von studentischen Initiativen, die Organisation von Veranstaltungen Politischer Bildung und die hochschulpolitische Einflußnahme auf wissenschaftliche Prozesse versuchen wir, unsere Vorstellung von Kritischer Wissenschaft auch in der Uni und der Gesellschaft zu verankern. Eine kritische Wissenschaft hat Bedeutung für alle Menschen, denn sie rückt diesen wieder in den Mittelpunkt.

Wissenschaft ist kritisch oder sie ist nicht!