Über den alten SDS

Geschichte des Hamburger SDS 1946-1970

Da wir gelegentlich (z.B. von FDP und RCDS) mit dem „Sozialistischen Deutschen Studentenbund“ verwechselt werden, hier nun ein Portrait der Hamburger Sektion des linken Studierendenverbandes der alten BRD.

Der Gründungskongress des SDS als SPD-naher Studentenbund fand vom 2. bis 6. September 1946 in der Elbschlossbrauerei und im Saal der Ufa Harvestehude in Hamburg statt. Delegierte kamen aus ca. 20 Hochschulorten. Hamburg war dadurch ein günstiger Gründungsort, da in der britischen Zone den Studierenden am ehesten die Möglichkeit gegeben wurde, politische Hochschulgruppen zu gründen. Einer der ersten Vorsitzenden des SDS war der Hamburger und spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt. Bereits in den „Eschweger Richtlinien“ nach der Währungsreform 1948 tauchte eine Forderung nach völliger Gebührenfreiheit und materieller Sicherstellung von Studierenden auf. Die Einführung eines Studienhonorars wurde gefordert, da das Studium als „Arbeit für die Gesellschaft“ verstanden wurde. Der Bundesvorsitzende Ulrich Lohmar aus Hamburg stand eher für praktische Ad-hoc-Antworten auf die Adenauer-Regierung als für die Tradition der Arbeiterbewegung. Er war zu der Zeit Mitarbeiter des Soziologen Helmut Schelsky an der „Akademie für Gemeinwirtschaft“.

Im Januar 1959 fand in Westberlin ein studentischer Kongress gegen die atomare Aufrüstung der Bundeswehr statt. Neben Mitgliedern der SPD nahmen auch Mitglieder der Konkret-Redaktion, die ihren Sitz in Hamburg hatte, daran teil. Der Kongress, der sich für Verhandlungen mit der DDR und für eine Wiedervereinigung Deutschlands aussprach, wurde in der Presse als „Totengräber der Freiheit“ diffamiert. Einige Monate später fand in Frankfurt ein „Kongress für Demokratie – gegen Restauration und Militarismus“ statt. Auch hier nahm die Konkret-Gruppe wieder Einfluss und setzte die Forderung nach einer einseitigen Abrüstung der BRD durch, was SED-Kritikern in SPD und SDS nicht gefiel. Kurze Zeit später wurde der Bundesvorsitzende Oswald Hüller vom SDS-Bundesvorstand abgesetzt und ein Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Mitarbeit in der Redaktion Konkret durchgesetzt. Die SPD war durch die Infiltration der Konkret-Gruppe und die letztlich mangelnde Rückendeckung für die Absetzung Hüllers aufgeschreckt und begann den „Sozialdemokratischen Hochschulbund“ SHB aufzubauen. Anfang 1960 wurde der SHB von der SPD offiziell anerkannt. Der SDS bekam nun keine finanziellen Mittel mehr und wurde später mit einem Unvereinbarkeitsbeschluss belegt. Der SHB warf dem SDS vor, direkte Beziehungen zur SED zu unterhalten und Aktionen zu unterstützen, die zuvor in Ostberlin angelaufen seien. Die Einschätzung einer Unterwanderung bzw. Steuerung des SDS durch (Ost-)Kommunisten ist aber falsch. Vielmehr wurde der SDS attraktiv für eine neue Jugend, die autonome Politik jenseits der Großorganisationen der alten Arbeiterbewegung machen wollten.

Nachdem sich nun das Dauerthema „Verhältnis zur SPD“ für den SDS erledigt hatte, konnte man sich neuen Fragestellungen widmen: Welcher Standort und welche Funktion kommt der sozialistischen Intelligenz in der Klassengesellschaft zu? Kann Wissenschaft eine revolutionäre Produktivkraft sein? Wie kann der SDS seine Zielgruppen, Studentenschaft und sozialwissenschaftliche und technische Intelligenz mobilisieren und politisieren? Der SDS verstand sich immer mehr als theoretische Avantgarde-Organisation, die die Mehrheit der bürgerlichen Intelligenz für emanzipatorische Ziele gewinnen wollte, und nicht mehr als Rekrutierungsfeld für Führungspositionen der traditionellen Arbeiterbewegung. Es begann eine Phase, in der eine Wieder- und Neuaneignung der im Faschismus zerstörten Denktraditionen und Denkbewegungen Marxismus, Psychoanalyse und Kritische Theorie stattfand. Die Frankfurter Schule Horkheimers, Adornos und Marcuses wurde wieder entdeckt. Im Zentrum standen die Fragen: „Wie ist Auschwitz möglich gemacht worden?“ und „Wie ist die Herrschaft von Menschen über Menschen abzuschaffen?“.

Mitte der 60er Jahre gab es ein Bedürfnis westdeutscher Studierender zu Kontakten zu Studis im Ostblock. Der „Verband deutscher Studentenschaften“ hatte seine strikt ablehnende Haltung geändert. Gerade zur DDR waren Kontakte aber schwierig, da der Staat für die BRD nicht existierte. FDJ-Vertreter mussten damit rechnen, in Westdeutschland verhaftet zu werden. 1964 nahm der SDS-Bundesverband erstmals mit einer offiziellen Delegation am Deutschland-Treffen der FDJ in Ostberlin teil. Hier forderte der SDS das Ende der politischen Justiz in ganz Deutschland. Der Hamburger SDS unterhielt Kontakte zum FDJ-Kreisverband der Uni Greifswald. Sie führten in Hamburg und Greifswald ein mehrtägiges gemeinsames Seminar durch. Für ihre sozialistische Kritik am DDR-Sozialismus bekamen die Vertreter des Hamburger SDS in Greifswald minutenlangen Applaus. Danach gab es dann aber keinen Kontakt mehr untereinander.

Am 2. Juni 1967 wurde der Westberliner Student Benno Ohnesorg während des Besuches des Schahs von Persien von der Polizei erschossen. Politik, Presse und Polizei gaben den Studierenden die Schuld. Einen Tag nach dem Mord an Benno Ohnesorg besuchte der Schah auch Hamburg. Auf dem Rathausmarkt standen „Jubelperser“ vom Geheimdienst hinter einer Polizeikette, während die Polizei auf demonstrierende Studenten einschlug. Vor der Oper in der Dammtorstraße wurden die Studierenden mit einer Pferdestaffel auseinander getrieben. Es gab etliche Verletzte. Am Abend fand noch eine weitere Prügelorgie auf dem Rathausmarkt statt. Drei Vorstandsmitglieder des Hamburger SDS wurden während des Tages in Verwahrung genommen, da sie offenbar auf einer schwarzen Liste standen.

Am 9. November 1967 protestierten mehrere Studis anlässlich der Rektoratsfeier im Audimax der Uni Hamburg für Hochschulreformen. Die Studenten Detlev Albers und Gert-Hinnerk Behlmer entrollten ein Transparent mit der Aufschrift „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“. Prof. Spuler, Leiter des orientalischen Instituts, rief den protestierenden Studis zu: „Ihr gehört alle ins KZ!“ Laut AStA sollen auf der Feier mindestens 20 Angehörige der Kriminalpolizei anwesend gewesen sein, die fünf Studierenden, alle vom SDS, empfindliche Verletzungen zufügten und einen für die Dauer der Feier im Keller des Audimax einsperrten. Auf einem SDS-Flugblatt hieß es: „Stürzt die Ordinarien – alle Macht den Instituts- und Studentenräten!“ Nach der Feier gab es mehrere studentische Vollversammlungen. Eine Podiumsdiskussion zwischen Rektor Ehrlicher, Dekanen, Professoren und Studierenden endete im Eklat. Für den Ausspruch „Seien sie nicht so arrogant“ wurden die studentischen Vertreter aus dem AS ausgeschlossen. Vollversammlungen, SDS und SHB stärkten dem AStA daraufhin den Rücken.

Am 11. April 1968 wurde Rudi Dutschke in Westberlin lebensgefährlich angeschossen. Tausende Studierende versammelten sich daraufhin im Audimax der Westberliner TU und zogen dann wütend zum Springer-Haus in der Kochstraße. Ein Agent Provokateur des Landesverfassungsschutzes besorgte die Molotow-Cocktails und die Schlacht begann. In Hamburg riefen SDS, SHB und AStA zur Demonstration auf. Am Gänsemarkt flogen die ersten Steine auf eine Abendblatt-Filiale, durch einen Zivilpolizisten. Am Tag darauf riefen SDS, SHB, LSD, HSU und AStA erneut zur Demo auf. Mehrere SDS-Mitglieder wurden vorbeugend inhaftiert. Die Begründung war „Gefahr im Verzuge“, da Werkzeuge aus einer Baubude gestohlen worden seien. Als Beweise dienten ein Hammer, eine Säge, ein Tomatenmesser und drei Bretter mit Nägeln. Am Polizeihochhaus Valentinskamp forderten 1200 Demonstranten die Freilassung, woraufhin sie gekesselt und geschlagen wurden. 1000 Studis blockierten den Springer-Verlag in der Kaiser-Wilhelm-Straße. Axel Cäsar Springer persönlich konnte von seinem Büro aus die Proteste beobachten.

Über einen Streik zur Verabschiedung der Notstandsgesetzte am 15. Mai 1968 gab es an der Uni Hamburg keine Einigung, da SDS und linker SHB für den Einsatz von Streikposten, Barrikaden und Demos in der Innenstadt waren, AStA und restlicher SHB aber nur Infoveranstaltungen wollten. Einige Tage vor der Notstandsgesetzgebung stürmten etwa 40 Studierende in Phantasieuniformen in die Mensa an der Uni Hamburg und forderten die Kommilitonen auf, sich im Rahmen einer „Notstandsübung“ in Reih und Glied vor dem Audimax aufzustellen. Professoren wurden aus ihren Zimmern heraus für eine „antibakteriologische Universitäts-Schutztruppe“ zwangsverpflichtet und aufgefordert, ihre Privatwagen der Evakuierung anderer Dienstkräfte zur Verfügung zu stellen. Der Presse wurde erklärt, die Übung gelte für den Ernstfall der Verhinderung eines vom SDS angezettelten Streiks im Rücken der kämpfenden Bundeswehr. Leiter der Übung war der untergetauchte, von der Polizei gesuchte SDS-Funktionär Karl-Heinz-Roth. Dennoch verabschiedete der Bundestag am 30. Mai 1968 mit großer Mehrheit die Notstandsgesetze. 8000 Studierende demonstrierten daraufhin vor dem Kurt-Schumacher-Haus in Hamburg.

Anfang 1969 wurde an der Uni Hamburg ein linker AStA gewählt. Aus Protest gegen ein neues Hochschulgesetz, das als technokratische Reform galt, wurde im Januar 1969 das Psychologische Institut (Phil-Turm, 2. Stock) besetzt. Nach einer polizeilichen Räumung wurde es umgehend wieder besetzt. Gefordert wurden eine Neubestimmung der Studieninhalte und eine Neustrukturierung der Institute. Nach der endgültigen Räumung am 4. Februar 1969 wurde dann das Germanistische Institut besetzt. Am Tag darauf demonstrierten mehrere Tausend Studierende, Schüler und Arbeiter in der Hamburger Innenstadt. Danach kam es zur „Schlacht um den Philosophenturm“. Nachdem der Phil-Turm schließlich von der Polizei besetzt wurde, besetzten die Studis das Rektorat. Die SPD-Bürgerschaftsfraktion bekundete daraufhin Diskussionsbereitschaft und kündigte eine völlige Überarbeitung des Senatsentwurfes an. Die privilegierte Stellung der Professoren in der Uni-Selbstverwaltung sollte abgeschafft werden.

Im Bundesverband des SDS kam es nun zu einer ungleichzeitigen Entwicklung. In der Provinz wurde noch theoretisiert, in den Großstädten die Konfrontation mit der Polizei vorbereitet. Gleichzeitig stellte sich die Frage, ob der SDS an Landtags- und Bundestagswahlen teilnehmen sollte, was die Mehrheit aber ablehnte. Auf der letzten ordentlichen Delegiertenkonferenz im September 1968 in Frankfurt forderte Helke Sander vom „Aktionsrat zur Befreiung der Frauen“, der SDS müsse endlich die Interessen der Frauen, besonders aber der Mütter und Kinder zur Kenntnis nehmen. Eine paritätische Aufteilung zwischen Frauen und Männern bei wichtigen Funktionen im Verband, gemeinsame Veränderungen des bisherigen Arbeitsziel und eine Mitarbeit von Männern in den von Sander vorgeschlagenen Kinderläden wurde gefordert. Als der SDS nicht bereit war darüber ernsthaft zu diskutieren, flogen Tomaten. Im allgemeinen Chaos wurde die weitere Delegiertenkonferenz auf Mitte November nach Hannover verlegt. Es hörte niemand mehr irgendjemandem zu, die Devise „Brecht dem BV die Gräten, alle Macht den Räten“ setzte sich durch. Am 21. März 1970 wurde der SDS im Frankfurter Studentenhaus aufgelöst.

Die Informationen sind weitgehend dem Buch „Kleine Geschichte des SDS“ von Tilman P. Fichter und Siegward Lönnendonker sowie der Website www.mao-projekt.de entnommen.